Aus Traueransprachen

...für 'verwaiste' Eltern

Wir haben uns hier in der Trauerhalle des Neunkirchener Friedhofs versammelt, um über den Tod von Nils René zu trauern. Gott, der den Menschen ins Dasein ruft, ja, der jeden einzelnen bei seinem Namen ruft, wie das Alte Testament bezeugt, er hat auch Nils René ins Dasein gerufen - nur 21 Jahre lang - und ihn seinen Eltern und seiner Schwester und allen, die ihn kannten, schätzten und liebten, auf unbegreifliche Weise wieder genommen. Vor der Zeit, weit vor der Zeit. Und so wird dieser Trauergottesdienst in Wirklichkeit zu einer Klagefeier.

Und deshalb will ich lesen ein Klagegebet des Königs David, den Psalm 142:

Wir schreien zu Gott, so laut wir können,
Dir klagen wir unsere Not,
Dir sagen wir, was uns quält, was uns betrübt bis in den Tod.
Allen Mut haben wir verloren, wir wissen nicht, wie es weitergehen soll.
Auf dem Weg, den wir jetzt gehen müssen - es ist der schwerste unseres Lebens - steh' uns wenigstens bei.
Zu Dir, Gott, schreien wir: Bist du wirklich unsere Zuflucht, gibst Du uns, was wir fürs Weiterleben brauchen?
Höre unser Schreien, sieh doch, wir sind völlig am Ende. Hilf uns und lass uns nicht allein.


...für einen Erfolgreichen, mitten aus dem Leben Gerissenen

Im Kundengeschäft war Rainer bis zum Jahre 1991 tätig. Dann erkannte er für sich die Notwendigkeit in den neuen Bundesländern Aufbauarbeit zu leisten. Er empfand dies als eine Herausforderung, der er sich nicht entziehen konnte und durfte. Nach einem Jahr kehrte er zurück in sein Institut, in den Schatten des Kölner Domes. Und hier übernahm er, nun um viele Erfahrungen im Bankengeschäft der östlichen Bundesländer reicher, neue Aufgaben. Er widmete sich der EDV-Betreuung seiner Bankkollegen. Bei ihnen war er geschätzt und beliebt wegen seiner fachlichen und menschlichen Qualitäten. In seiner Arbeit ging er auf, in ihr fühlte er sich wohl und freute sich an jedem Morgen nach Köln zu fahren, in 'seine' Bank, zu 'seinen' Kolleginnen und Kollegen.

Privat liebte Rainer die Geselligkeit. Gerne war er gemeinsam mit seiner lieben Frau Ruth Gastgeber für Bekannte und Freunde. Gerne war er aber auch bei anderen zu Gast. Und immer in Gesellschaft war er ein aufmerksamer Zuhörer aber auch ein leidenschaftlicher Debattierer und Diskutierer. Fragen um Gott und die Welt standen dann im Mittelpunkt. Das verwundert nicht, weil der Verstorbene ein sozial äußerst sensibler und sehr engagierter Mensch war. Er hatte einen Gerechtigkeitssinn und ein tiefes Empfinden für Ungerechtigkeit. Das machte ihn immun für politische Parolen und oberflächliches, frommes Geschwätz. Und zugleich sensibel für die Not in der Welt und die Nöte der Menschen. Daran litt er. Und dieses Leiden wurde auch zu einem metaphysischen Leiden, vielleicht wurde es für Rainer gar zu einer Krankheit zum Tode (Kierkegaard). Er hatte erkannt: Es gibt zuviel Elend auf der Welt und zuviel Ungerechtigkeit. Und dann hat er die Frage nach Gott gestellt. Wo der denn sei, dieser Allmächtige, der Himmel und Erde erschaffen haben soll, aber in Wirklichkeit keine Abhilfe schaffe angesichts der Not und all des Elends und all der Tränen, die geweint werden auf dieser Welt und angesichts des Hungers, der erlitten wird und der Krankheiten, die zum Tode führen. Gerade deshalb wusste er, dass auch Spenden an soziale Organisationen nur einen 'Tropfen auf den heißen Stein' sein konnten. Sein inneres Mitleiden blieb. Hier die Not, und dort Institutionen, die vollmundig daherreden. Das machte ihm zu schaffen.


...für einen einsam Verstorbenen

Privat hat der Verstorbene viele Höhen und Tiefen des Lebens durchlebt und durchlitten: Zuneigung und Liebe, Distanz und Entfremdung, Lachen und Weinen, Verbundensein und Geschiedensein. Das alles hat ihn geprägt und in seinen Empfindungen tiefsinnig gemacht, auch schwermütig und gerade deswegen empfindsam und sensibel für seine Mitmenschen. Sein Lot, sein innerer Schwerpunkt, reichte tief in die Seele.

So konnte er in sich selbst hinein hören und horchen. War dies seine ganz individuelle 'Krankheit zum Tode?', die ihn sich isolieren und zum Schluss ganz abgekapselt, ja in der Wohnung eingekapselt, noch leben ließ? - Das muss es gewesen sein, als er vermutlich vor Monaten - schon mehr fühlte als wusste - in die letzte Phase seines Lebens eingetreten zu sein. Seine Verschlossenheit, seine Diskretion sich selbst gegenüber, nahm auch für die Außenwelt spürbar zu. Seinen Lieblings-Italiener suchte er nicht mehr auf, dort wurde er vermißt. Am 2. Mai noch öffnete er seiner Nachbarin die Tür und nahm als Geburtstagsgeschenk einen Essenskorb entgegen. Auch seine Nichte Sylke, zu der er den menschlich engsten Kontakt in der Verwandtschaft hatte, gratulierte mit einem solchen Korb, damit er wenigstens noch Nahrung, die ihm schmeckte, in seiner Wohnung hatte. Geistige Nahrung hatte er ja genug, die Bücherberge belegen das.

Am 8. Mai ist Rolf dann gestorben. Ganz allein, so, wie jeder allein sterben muss, der Frieden mit sich geschlossen hat und mit dem 'Bruder Tod', wie dieses Ereignis des Sterbens im 'Sonnengesang' des heiligen Franz von Assisi genannt wird. Rolf wollte allein sterben; er wollte keine Ärzte, keine Behandlung und keinen Krankenhausaufenthalt. Das war ihm wichtig. Und: Er wollte anderen nicht zur Last fallen. So wie sein Leben lang nicht, so erst recht nicht im Sterben; da sollte niemand an ihn herankommen. Wachenden Auges hat er den Tod erwartet, ohne das Bewusstsein dämpfende oder trübende Mittel. Das war seine ureigene Entscheidung und dadurch hat er ein Maß größter Souveränität und Unabhängigkeit bewiesen.


...für einen jungen Mann muslimischen Glaubens

Wir sind heute hierher auf den Rüngsdorfer Friedhof gekommen, um den Tod von Tarek Ahmed zu betrauern. Er wurde nur 34 Jahre alt. Während eines kurzen Krankenhausaufenthaltes ist er unerwartet gestorben.
Zu Beginn dieser Feier, in der wir den Verstorbenen ehren, ihm die letzte Ehre erweisen wollen, lassen Sie mich aus dem Koran die Erste Sure lesen, die dem Propheten Muhammad in Mekka geoffenbart wurde. Sie trägt den Titel al-fatiha, 'Die Öffnende', weil sie das Heilige Buch der Muslime, den Koran, 'eröffnet':

Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! Lob sei Allah, dem Weltenherrn, Dem Erbarmer, dem Barmherzigen, Dem König am Tag des Gerichts! Dir dienen wir und zu Dir rufen um Hilfe wir; Leite uns den rechten Pfad, Den Pfad derer, denen Du gnädig bist, Nicht derer, denen Du zürnst, und nicht der Irrenden.


...für eine alte Frau jüdischen Glaubens

Wir hören das Kaddisch-Gebet, jenes jüdische Totengebet, in dem es um die Heiligung des göttlichen Namens geht, die wir hier stellvertretend für unsere liebe Verstorbene vollziehen:

Jitgadal vejitkadsch sch'mei rabah - Erhoben und geheiligt werde sein großer Name auf der Welt, die nach seinem Willen von Ihm erschaffen wurde - sein Reich soll in eurem Leben in den eurigen Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel schnell und in nächster Zeit erstehen. Und wir sprechen: Amein! Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten.
Gepriesen sei und gerühmt, verherrlicht, erhoben, erhöht, gefeiert, hocherhoben und gepriesen sei der Name des Heiligen, gelobt sei er, hoch über jedem Lob und Gesang, Verherrlichung und Trostverheißung, die je in der Welt gesprochen wurde, sprechet Amein! Fülle des Friedens und Leben möge vom Himmel herab uns und ganz Israel zuteil werden, sprechet Amein! Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen, stifte Frieden unter uns und ganz Israel. Schalom - Sprechet: Amein!

[...]

Schlusssegen:
Unser Gott und unserer Väter Gott! Segne uns mit dem in deiner Thora geordneten dreifachen Segen, wie er durch Mosche, deinen Knecht, verzeichnet ist und gesprochen wurde durch den Mund Aarons und seiner Nachkommen, die Priester, deiner heiligen Schar:

Es segne dich der Ewige und behüte dich! Es lasse leuchten der Ewige sein Antlitz zu dir und er begnadige dich! Es wende der Ewige sein Antlitz zu dir und gebe dir Frieden!